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Weniger Bürgerbegehren: „Massive Einschränkung der Demokratie in Hessen“

2025-04-03T04:16:59Z


Als die Wiesbadener Bürger am 1. November 2020 über den Bau der Citybahn abstimmten, rechneten sie mit dem umstrittenen Projekt regelrecht ab. Etwa 62 Prozent der Bürger sagten „Nein“, und nur in dreien der 26 Stadtteile stimmten die Einwohner dem Bau einer Straßenbahn zu. Mit einer Wahlbeteiligung von rund 46 Prozent wurde das erforderliche Quorum leicht erreicht. Ein solcher Bürgerentscheid ist aber nur drei Jahre gültig. Wenn die Wiesbadener Politik abermals eine Citybahn planen wollte, dürften die Bürger dieses Mal nicht mehr abstimmen, denn die hessische Landesregierung hat in der vergangenen Woche das Kommunalrecht geändert. Das ruft heftige Kritik hervor. „Wir steigern die Handlungsfähigkeit der Kommunen, bauen Bürokratie ab und sorgen für mehr Gestaltungsfreiheit vor Ort“, sagte Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) zur Reform des Kommunalrechts, die viele weitere Punkte umfasst und die er als „Meilenstein“ für Hessens Kommunen bezeichnete. Konkret beschloss der Landtag unter anderem, dass Auszählungen auf das d’Hondtsche Höchstzahlverfahren umgestellt werden sollen, womit eine Zersplitterung kommunaler Parlamente verhindert werde. Zudem werden Ein-Personen-Fraktionen ab­geschafft, und die Parlamente können mit einfacher Mehrheit ihre Verkleinerung beschließen. Infrastrukturprojekte vor Verzögerungen schützen Bürgerentscheide jedoch werden in Hessen künftig nicht mehr wie bisher möglich sein, für bestimmte Vorhaben sind sie nun per Gesetz ausgeschlossen. Das Land wolle damit dafür sorgen, „dass wichtige kommunale Infrastrukturvorhaben zügiger umgesetzt und nicht durch wiederholte Bürgerbegehren verzögert werden“, erklärt Poseck. Gerade bei Infrastrukturprojekten sei mehr Tempo nötig, aber die Möglichkeiten zur Bürgerbeteiligungen blieben „natürlich erhalten“, zum Beispiel während der Planfeststellungsverfahren. „Eine solche Regelung hat sich in anderen Ländern bereits bewährt“, erläuterte der Innen­minister. Beträfen die Vorhaben die gesamte Gemeinde, sollten die Gemeindevertretungen unterschiedliche Interessen abwägen. „Grundsätzlich sollte es im In­teresse aller sein, dass Infrastrukturprojekte wie der Bau von Windkraftanlagen schnellstmöglich umgesetzt und nicht unnötig verzögert werden“, so Poseck. Auf Nachfrage konkretisierte das Innenministerium, dass der sogenannte Negativkatalog von Fällen, in denen Bürgerbegehren ausgeschlossen sind, erweitert worden sei. Am Beispiel Citybahn schreibt die Behörde: „Das Bürgervotum hatte auch Auswirkungen auf die Landeshauptstadt Mainz in Rheinland-Pfalz und den Rheingau-Taunus-Kreis.“ Aber es sei den Bürgern weder in Rheinland-Pfalz noch auf Landkreisebene möglich gewesen, selbst abzustimmen, und sie hätten die Entscheidung der Wiesbadener akzeptieren müssen. Betroffen sind Verkehrsprojekte, Stromtrassen und Mülldeponien Planfeststellungsverfahren und vergleichbare fachrechtliche Verfahren würden „zukünftig nicht mehr Gegenstand eines Bürgerbegehrens sein können“, erläuterte das Ministerium und ergänzte: „Somit könnte nach der Neuregelung in der Kommunalrechtsnovelle auch die Entscheidung, ob eine Straßenbahn in Wiesbaden oder anderen Städten gebaut wird, nicht mehr Gegenstand eines Bürgerbegehrens sein.“ Zudem schwäche ein Bürgerentscheid die Entscheidungskompetenz der gewählten Gemeindevertreter und diene häufig der Durchsetzung von Einzelinteressen, lautete die weitere Begründung. Für den hessischen Landesverband des Vereins „Mehr Demokratie“ bedeutet dieser Punkt jedoch eine „massive Einschränkung der Demokratie in Hessen“. Vorstandsmitglied Matthias Klarebach monierte: „Bürgerbegehren zu großen Bauprojekten sind künftig nicht mehr möglich.“ Damit seien dann auch keine Bürgerentscheide zu diesen Projekten zulässig, denn das Bürgerbegehren sei der dafür nötige Antrag. „Diese Gesetzes­änderung höhlt die kommunale Demokratie aus. Die Landesregierung nimmt den Bürgern ein wesentliches Mitbestimmungsrecht bei genau den Infrastrukturprojekten, die ihre Lebensumgebung langfristig prägen. Der Bürgerentscheid zur Wiesbadener Citybahn wäre mit dieser Regelung unmöglich gewesen – und das ist aus demokratiepolitischer Sicht höchst problematisch“, teilte Klarebach mit. Es sei wichtig, zu verstehen, welche Projekte tatsächlich betroffen seien. „Anders als vom Innenminister dargestellt, fallen Windkraftanlagen nicht unter diese Neuregelung. Betroffen sind vielmehr Straßenbau, Bahn- und Stromtrassen, Müllverbrennungsanlagen und Deponien – also Projekte, bei denen die Bürger durchaus ein berechtigtes Interesse haben mitzuentscheiden. Diese Einschränkung der Bürgerrechte lehnen wir entschieden ab“, so Klarebach. Er warnte davor, dass die Gesetzesänderung zur Politikverdrossenheit beitrage. Scharfe Kritik äußerten auch die Liberalen im Landtag an der Novelle. „Heute ist ein schlechter Tag für die Vielfalt in hessischen Parlamenten“, monierte Mo­ritz Promny, innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, und bezog sich damit auf das geänderte Auszählungsverfahren. Seiner Einschätzung nach werde dadurch der Wählerwille „verzerrt“. Daher prüfe die Fraktion den Gang zum hessischen Staatsgerichtshof. Zur Einschränkung der Bürgerbegehren sagte Promny: „Sie entmündigen die Bürger und nehmen ihnen das Recht, aktiv an der Gestaltung ihrer Lebenswirklichkeit teilzuhaben.“ Dies könne das Vertrauen in die demokratischen Institutionen nachhaltig beeinträchtigen.

Profile Image James Whitmore

Source of the news:   Faz.net

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